Sprachentwicklung bei Kindern

Jedes Kind hat eine individuelle Sprachentwicklung. Kinder lernen unterschiedlich schnell sprechen – einige schließen ihre Sprachentwicklung schon mit 4 Jahren ab, andere erst mit 5 Jahren.

Trotz individuellen Tempos erwirbt ein Kind Laute und grammatikalische Formen in einer bestimmten Reihenfolge. Bei Abweichungen sollte fachkundig abgeklärt werden, ob hierbei schon eine Sprachentwicklungsstörung (SES) vorliegt.

Der Sprachbaum

Sprachbaum Der Sprachbaum (nach Wendlandt, Wolfgang: «Sprachstörungen im Kindesalter») stellt symbolisch die vielfältigen Einflüsse, Voraussetzungen und Zusammenhänge dar, die dazu beitragen, dass der Prozess der Sprachentwicklung bei Kindern erfolgreich ablaufen kann.

Ohne Wärme, Akzeptanz und Liebe lernt kein Kind sprechen!

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Sprachentwicklung eines Kindes von der U4 bis zur U9

Im Folgenden ist die ‹normale› Sprachentwicklung eines Kindes (nach Kottmann, Uta) dargestellt, um Ihnen eine grobe Orientierung für die Einschätzung der Sprachfähigkeit Ihres Kindes zu ermöglichen:


U4 (3.-4. Lebensmonat)


Aktive Sprache

Sprachverständnis

1. Lallperiode

  • Gibt andere Laute als nur Schreien von sich
  • Bedürfnisse werden gezielt ausgedrückt (Essen, Nähe, Schlaf)
  • Lautbildung in der Rückenlage – probiert Zunge, Gaumen und Lippen zusammen mit der Stimme aus
  • «Antwortet»
    • durch Konsonanten, die im vorderen Mundraum gebildet werden: /m/,/n/,/b/,/p/,/l/,/t/,/d/,/f/,/w/
    • durch Vokallaute: /a/,/e/,/i/,/o/,/u/
    • durch Kehllaute: wie gurren, quietschen (gr-gr)
    (auch bei schwerhörigen Kindern, da Lautbildung die Freude am Spiel mit der Mundmotorik ist)

1. Lallperiode ist «international»


In der gewohnten Umgebung

  • Reagiert global mit Verhaltensänderungen
  • Versteht nicht «was», sondern «wie» etwas gesagt wird


U5 (6.-7. Lebensmonat)


Aktive Sprache

Sprachverständnis

2. Lallperiode

  • Laute als Wunschäußerung
  • Kann juchzen vor Freude
  • Ahmt Laute nach bei freundlicher Ansprache durch die Mutter
  • Die Vielfalt der Äußerungen reduziert sich auf die Laute der Muttersprache
  • Versucht
    • Lippenverschlußlaute: /m/,/b/
    • Silbenverdopplungen: z.B. dei-dei, mem-mem
    • übt in aller Ruhe alleine / bei Wohlbehagen: rr-Ketten
    • wechselt Tonhöhe und Lautstärke
  • Seitliche Kopfbewegungen zur Schallquelle

Wichtig! Bei Nachlassen der Lautproduktion: Hörprüfung


Beginnt Vertraute und Fremde auch an der Stimme und Sprache zu unterscheiden («fremdeln»)

  • Reaktion auf Musik
  • Bewusste Lokalisation seitlich liegender Schallquellen
  • Beginnt auf den eigenen Namen zu lauschen
  • Reagiert unterschiedlich emotional auf Tonfall, Lautstärke und Mimik der Mutter


U6 (10.-12. Lebensmonat)


Aktive Sprache

Sprachverständnis

Spricht klar drei Worte

  • Formt Doppelsilben als erste muttersprachliche «Wortabgrenzung», z.B. «dei-dei», «ma-ma», «ba-ba»
  • Benutzt für bestimmte Dinge / Personen / Situationen immer die gleichen Bezeichnungen, z.B. «Mama», «Wau-wau», «Gaga»
  • Ahmt zwei Tierlaute nach, z.B. «Wau-wau», «Piep-piep»…
  • Laute: /o/,/n/,/m/,/b/,/p/
  • Läßt sich zum «Dialog» anregen
  • Wichtig: Positive Rückmeldung durch die Umwelt (Anregung durch Wiederholung)
  • Beginnt Einwortsätze (ca. 2-10 Worte)
  • «Kindersprache»
  • Die unterschiedliche Sprachmelodie führt zur Änderung des Bedeutungsinhaltes (nicht bei schwerhörigen Kindern!)


Die Mutter soll sprechen

  • Reagiert auf den eigenen Namen
  • Befolgt z.B.
    • «Gib mir…»
    • «Komm her!»
  • Macht
    • «bitte-bitte»
    • «winke-winke»
  • Schaut zur genannten, bekannten Person, z.B. «Wo ist der Papa?»
  • Versteht Verbote «nein-nein» und hält vorübergehend bei seinem Vorhaben inne


U7 (21.-24. Lebensmonat)


Aktive Sprache

Sprachverständnis

Die Worte sind eng verbunden mit Handlungen und Situationen

  • Benennt
    • zwei Tätigkeiten, z.B. «ham-ham», «heia»
    • vier Dinge, z.B. «Auto», «Ball», «Puppe», «Wau-wau»
    • drei Personen, z.B. «Mama», «Papa» - Namen
  • Verwendet
    • 10-50 Worte und mehr, darunter Namen, Hauptworte, Tätigkeiten, Körperteile
  • Laute: /n/,/d/,/t/,/w/,/f/
  • Beginnt Zwei-Dreiwortsätze als Wunsch / Fragestellung (noch ungeformt, meist Infinitivform)

1. Fragealter, z.B. «Is’n das?»


Ist dem aktiven Wortschatz weit voraus

  • Versteht z.B.
    • «heiß», «heia», «teita» («ada»)
    • «…möchtest du?»
    • «Hol den Ball!»
  • Zeigt zwei benannte Personen
  • Benennt aus 10 Bildern (Gegenständen) eins bis drei


U8 (43.-48. Lebensmonat)


Aktive Sprache

Sprachverständnis

Wortschatz ca. 1.200 Worte - «Wortschatzexplosion»

  • Sagt Vor- und Familienname, evtl. Straßenname
  • Gebrauch von «Ich»
  • Wiederholt kurze Geschichten und Erlebnisse – gelegentlich Wortneuschöpfungen

2. Fragealter Fragen auf dem Höhepunkt: «wer?, wo?, wann?, warum?»

  • Singt und kennt Lieder, Singspiele etc.; findet Freude an Reimspielen, gelegentlich Redeunflüssigkeit (Silben- und Wortwiederholungen)
  • Gebraucht Nebensätze. Einzelne Lautbildungen oft noch unvollkommen, z.B. Lispeln, Verwechselung T-K («Tinderdarten»)

(Artikulation, siehe Sprachtest / Untersuchungs- und Dokumentationsbögen)


  • Hört einer Geschichte zu
  • Befolgt Doppelauftrag
  • Legt etwas «auf, unter»
  • Beantwortet z.B.
    • «Was musst du tun, wenn du Hunger hast?»
    • «Was musst du tun, wenn dir kalt ist?»
  • Zeigt, z.B. «alles was fährt»


U9 (58.-64. Lebensmonat)


Aktive Sprache

Sprachverständnis

Wortschatz ca. 2.100 Worte

  • Die Sprache ist jetzt komplett in Form (Artikulation) und Struktur (Grammatik)

Bei Lautbildungs- und Grammatikfehlern jetzt spätestens Therapiebeginn!

  • Redet über alles / spielt mit Worten / kritisiert andere / lobt sich selbst
  • Geschichten können nacherzählt werden
  • Benutzt: «oben, unten, vor, auf»
  • Fragt
    • nach der Bedeutung von Worten
    • um sich zu erkundigen und zu lernen: «Wozu braucht man dieses?» / «…wie heißt das?»
  • Erklärt in Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
  • Benennt
    • die Zahl der Finger an einer Hand
    • vier Farben


Denkt in Beziehungen, d.h. über die egozentrische oder direkte Situation hinaus

  • Versteht Sachverhalte, die es nicht unmittelbar sieht, z.B.
    • «Was musst du tun, wenn du etwas verloren hast?»
    • «Was musst du tun, bevor du über die Straße gehst?»
  • Befolgt drei Aufträge in richtiger Reihenfolge
  • Wird aufmerksam für das sprachliche Detail
  • Das Kind erwirbt Wissen, sammelt sprachliche Erfahrungen und gebraucht Sprache als Kommunikationsmittel



Sprachanregung bei Kindern

Hier finden Sie praktische Tipps, wie Sie die sprachliche Entwicklung Ihres Kindes im Alltag fördern können.

Lautäußerungen aufgreifen und nachahmen

Greifen Sie die sprachlichen Äußerungen Ihres Kindes spielerisch auf: Imitieren Sie das Lallen, ahmen Sie gemeinsam Geräusche (z.B. von Tieren) nach, schneiden Sie Grimassen.
So aktivieren Sie auch schon bei ganz kleinen Kindern die Imitations- und Sprechfreude.

Sprachliches Vorbild sein

Sprechen Sie langsam, deutlich und in einfachen Sätzen. Bleiben Sie natürlich und authentisch, d.h. verwenden Sie keine «Baby- oder Robotersprache».
So unterstützen Sie Ihr Kind dabei, Sie zu verstehen und das Verstandene zu verarbeiten.

Sprachliche Anregungen schaffen

Da heute in den Familien oft nur noch wenig Zeit miteinander verbracht wird, ist die Schaffung von «Sprachinseln» besonders wichtig. Hilfreich können hier Rituale sein, wie z.B. gemeinsame Mahlzeiten.
Erst die zwischenmenschliche Kommunikation aktiviert und bereichert das Sprechen Ihres Kindes. Also sprechen Sie miteinander!

Vorlesen

Das Vorlesen von Geschichten fördert die emotionale Entwicklung, den Wortschatz und die Lesefähigkeit. Das Hineinversetzen in die Figuren regt die Kreativität und Phantasie an.
Durch die gemeinsame Verarbeitung von Handlung und Gefühlen wird die emotionale Bindung gestärkt.
Im übrigen ist Vorlesen ein hervorragendes Sprechtraining für den Vorlesenden, um die eigene Artikulation zu schulen.

Blickkontakt und Augenhöhe

Suchen Sie den Blickkontakt und sprechen Sie auf Augenhöhe mit Ihrem Kind. Damit signalisieren Sie Interesse und lenken die Aufmerksamkeit auf das gemeinsame Gespräch. Ihr Kind erfährt so emotionale Nähe und Zuwendung.
Dies ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Kinder sprechen lernen.

«Was» statt «wie»

Wenn Ihr Kind etwas erzählt, sollten Sie vor allem auf den Inhalt hören als auf sprachliche Fehler.
So verhalten Sie sich respektvoll und unterstützen die Sprechfreude Ihres Kindes.

Zuhören und Aussprechen lassen

Was so einfach klingt, gestaltet sich gerade heutzutage im stressigen Alltag oft als schwierig. Nehmen Sie sich dennoch Zeit, hören Sie Ihrem Kind aufmerksam und interessiert zu. Lassen Sie es ausreden und unterbrechen Sie es nicht.
So fühlt sich Ihr Kind ernst genommen und seine Bereitschaft wächst, sich mitzuteilen.

Korrektives Feedback

Spricht Ihr Kind etwas fehlerhaft, wiederholen Sie das Gesprochene unmittelbar in richtiger Form, ohne jedoch Ihr Kind zum Nachsprechen aufzufordern.
Wenn Ihr Kind z.B. sagt «ich Tinderdaten dehe», dann wiederholen Sie «Ja, du gehst in den Kindergarten».

Melodie und Rhythmus

Melodie und Rhythmus bestimmen die Musik wie auch die Sprache. Lieder und Gedichte haben im Vergleich zur gesprochenen Sprache einen besonders deutlichen Rhythmus. Hinzu kommt, dass der Text sehr einprägsam ist und somit den Wortschatz erweitert und das Sprachgefühl verbessert.
Bewegung und Sinne werden aktiviert und der mimische und gestische Ausdruck von Gefühlen stimuliert. Dadurch fördern sie die Sprachentwicklung Ihres Kindes.

Sprach- und Sprechspiele

Es gibt mittlerweile ein fast unüberschaubares Angebot an interessanten und fördernden Sprach- und Sprechspielen: z.B. Fingerspiele, Wort- und Buchstabenspiele sowie mundmotorische Übungen zur Verbesserung der Artikulation (Stärkung und Training der Beweglichkeit der Lippen, Wangen und Zunge).
Wichtig ist dabei, dass das spielerische Moment im Vordergrund steht und kein zusätzlicher Lerndruck auf Ihr Kind ausgeübt wird. Sprachtherapeuten, Erzieher oder Lehrer können Ihnen hier Empfehlungen geben.

Medienkonsum

Der immer wieder kontrovers diskutierte Medienkonsum ist vor allem dann problematisch, wenn Kinder alleine und/oder zu lange der medialen Reizüberflutung ausgesetzt sind. Zur Verarbeitung sind Pausen mit gemeinsamen Gesprächen darüber sinnvoll.
Kinder- und Jugendpsychologen empfehlen grundsätzlich eine strikte zeitliche Reglementierung. Auf jeden Fall sollten Sie in der Familie einen bewussten Umgang mit Computer, TV, Gameboy, MP3-Player, Smartphone & Co schaffen.


Weiterführende Links

Informationen für Eltern und Angehörige
Deutscher Bundesverband für akademische Sprachtherapie und Logopädie (dbs) e.V.
Broschüre _ Hilfen für den Sprachaufbau (PDF)


Informationsangebot für Eltern
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
www.kindergesundheit-info.de

Beratungsangebot für Kinder, Jugendliche und Eltern
Nummer gegen Kummer e.V.
www.nummergegenkummer.de


LeseWelten _ Vorlese-Initiative für Kinder
Kölner Freiwilligen Agentur e.V.
www.lesewelten-koeln.de

Bücherbude _ Interaktives Vorleseangebot
CASAMAX Theater in Kooperation mit Hanka Meves von der Fricke Stiftung für Bildung und Kultur (Biku-Stiftung) _ Köln
www.casamax-theater.de/kooperationen

Stiftung Lesen
www.stiftunglesen.de

Lesestart 1-2-3 _ Programm zur frühen Sprach- und Leseförderung
Stiftung Lesen
www.lesestart.de

einfach vorlesen! _ Leseangebot
Stiftung Lesen und Deutsche Bahn Stiftung gGmbH
www.einfachvorlesen.de

HanisauLand _ Informationsangebot für Kinder
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)
www.hanisauland.de/buchtipps/aktuellebuecher


Medienambulanz / Verhaltenssuchtambulanz
LWL-Universitätsklinikum Bochum der Ruhr-Universität Bochum (RUB)
psychosomatik.lwl-uk-bochum.de/die-ambulanz/medienambulanz

Internet-ABC _ Informationsangebot für Kinder und Eltern
Internet-ABC e.V. / Landesanstalt für Medien NRW
www.internet-abc.de

klicksafe _ Informationsangebot für Jugendliche und Eltern
Medienanstalt Rheinland-Pfalz
www.klicksafe.de

Fachverband Medienabhängigkeit e.V.
www.fv-medienabhaengigkeit.de